Die eigenen Erwartungen und eine Erkenntnis
Ich hatte das Vergnügen für den DGB an einem Seminar in Berlin teilzunehmen, bei dem Kolleg_innen der Friedrich-Ebert –Stiftung, der Hans Böckler Stiftung, der SPD und des DGB gemeinsam ein kleines Experiment wagten. Angeleitet durch den erfahrenen und sehr kreativen Journalisten Christian Stahl erhielten wir tiefe Zugänge in die Lebens- und Erfahrungswelt der Menschen im Berliner Stadtteil Neukölln. Einem Stadtteil, dem ich aus eigenem Erleben durchaus aufgeschlossen gegenüber stand und auch weiterhin stehe. So oft es ging, habe ich jeden Berlintermin in den letzten Jahren genutzt, um mich in der Sonnenallee oder den Nebenstraßen in den Cafes zu bewegen oder mit Freund_innen aus Berlin einfach am Abend durch die Straßen zu spazieren. Unter diesen Eindrücken der vergangen Jahre, der zwangsläufig immer oberflächlich blieb, fand für mich dieses Seminar also an einem Ort statt, den ich meinte etwas zu kennen. Jetzt am letzten Tag muss ich mir selber eingestehen, dass ich mich geirrt hatte. Ich hatte in den letzten Jahren wirklich nur an der Oberfläche gekratzt. Dieses Mal war es etwas anders. Das Seminar führte uns unter anderem an die „berüchtigte Rütlischule, welche 2006 durch einen Brandbrief des Lehrerkollegiums in den Fokus der Öffentlichkeit geriet. Neben diversen sehr spannenden Fachgesprächen mit lokaler Politikprominenz und einem Besuch der DAUG „Deutsche Arabische Unabhängige Gesellschaft“ gab es einen Höhepunkt, der für fast alle Teilnehmer_innen sehr prägend gewesen sein dürfte. Für mich jedenfalls, war dies neben einem Kiezfilm den wir gemeinsam mit den Hauptdarstellern sehen und diskutieren durften, der eigentliche Höhepunkt des Seminars. Wir besuchten eine arabische Familie direkt zu Hause und wurden dort so herzlich und mit so offenen Armen empfangen, dass ich, wäre da nicht die Sprache gewesen, recht schnell vergessen hätte, wo ich mich befinde. Auf den Besuch, den Film aber auch auf eine sehr bittere Erkenntnis möchte ich in den nächsten Zeilen etwas näher eingehen.
Ein beeindruckender Film
Am Abend des ersten Seminartages, nach einem gemeinsamen, wunderbaren Essen in einer ägyptischen Shishabar, trafen wir in der „Werkstatt der Kulturen“ mit dem Hauptdarsteller eines Films zusammen, den unser Seminarleiter vor einigen Jahren gedreht hat. Der Film mit dem Titel „Gangsterjäger“ hat mich sehr nachdenklich gemacht. Christian Stahl, der den Film gedreht hat, hatte einen damals 14 jährigen Jugendlichen in seinem Hauseingang in Neukölln kennengelernt und war beeindruckt, dass dieser junge Mensch doch tatsächlich 2 Gesichter hatte. Im Hauseingang total nett und zuvorkommend und hilfsbereit und in der Schule und auf der Straße gewalttätig. Dieser Zwiespalt war es wohl, der Christian dazu brachte einen Dokumentarfilm mit dem jungen palästinensischen Mann zu drehen. Das dieser sehenswerte Film quasi mit einer Freiheitsstrafe für den Deliquenten endet, war am Anfang nicht absehbar. Nach dem Film gab es die Möglichkeit zur Diskussion mit dem Regisseur und dem Hauptdarsteller. Von dieser Möglichkeit haben wir auch rege Gebrauch gemacht. Am Ende stellte sich heraus, dass die Situation von Yeyha, so heißt der sehr charismatische junge Mann aus Neukölln, absolut entwurzelt ist. Als staatenloser Palästinenser, der gerade einmal 25 Tage nach der Geburt noch im Libanon verbracht hat, fühlt sich als Deutscher. Durch die Behörden wird ihm aber jeden Tag unmissverständlich klar gemacht, dass er nur hier geduldet wird. Chancen auf Ausbildung, Arbeit und eine Zukunft werden beständig zu Nicht gemacht.
Damit komme ich in meinem persönlichen Fazit des Seminars, zum wohl wichtigsten Teil.
Der Blick hinter die Kulissen
Wie schon im einleitenden Teil beschrieben war der Höhepunkt des Seminars der Besuch einer arabischen Familie in Neukölln. Meine anfängliche Skepsis und vor allem meine, als Ostdeutscher, quasi fehlenden Erfahrungen mit anderen Kulturkreisen wandelten sich schnell in Begeisterung. Wir wurden begleitet durch eine engagierte Vertreterin des schon angesprochenen Vereins „DAUG“ der durch Sozialarbeit im Kiez auf sich aufmerksam macht. Die Frau welche wir besuchten, kam vor langer Zeit nach dem Krieg im Libanon nach Deutschland. Sie hat zwei hier geborene Kinder, die Abitur machen und sie legt großen Wert auf die Bildung ihrer Kinder. „Die müssen studieren. Bildung ist unserer wichtigstes Fundament und wichtig für unsere Integration.“ Während des sehr intensiven und hochgradig persönlichen Gesprächs musste ich feststellen, dass sich alles von dem, was ich politisch seit Jahren im Umgang mit Menschen aus anderen Kulturkreisen, ja mit Flüchtlingen, kritisiere, bestätigt. Es gab zwei Wörter welche unsere Dolmetscherin nicht übersetzen musste. Das waren Ausländerbehörde und Jobcenter. Es war nicht so, dass unsere gastfreundliche Begleiterin sich über irgendwas beschwert hätte, aber es war deutlich spürbar, wie sehr die Asylgesetzgebung unsere Mitmenschen, fertig macht und gängelt. Neben den Arbeitsverboten ging es auch um die aus meiner Sicht völlig rassistische Residenzpflichtgesetzgebung und die unerträgliche Situation, keinen festen Aufenthaltsstatus zu bekommen. Genauso erging es ja auch Yheya, unserem Gesprächspartner vom Vorabend. Dass vor allem junge Menschen, denen nach der zehnten Klasse der weitere Weg völlig versperrt bleibt, nicht nur aus Langeweile polizeilich in Erscheinung treten, ist aus meiner Sicht angesichts dieses staatlichen Rassismus, nicht verwunderlich. Ohne Arbeitsverbot und mit der Möglichkeit etwas Sinnvolles zu tun, würden uns als Gesamtgesellschaft wirklich viele „Integrationsrobleme“ erspart bleiben. Diese Gesetzgebung muss dringend verändert werden. Wir brauchen eine ganz andere Willkommenskultur. Als bittere Erkenntnis hat sich für mich fest eingeprägt, dass hier ganze Generationen von Eltern und vor allem Kindern verloren gehen. Dazu muss man auch wissen, dass ein Großteil der Flüchtlinge in ihren Heimatländern anerkannte Persönlichkeiten waren, die durch Krieg und Vertreibung jetzt völlig entwurzelt da stehen und keinen Fuß fassen können. Das ärgert mich nicht nur, das macht mich wütend. Um die Lesbarkeit diese für mich wichtigen Artikels zu gewährleisten verzichte ich darauf weitere Zeilen zu Papier zu bringen. Ich möchte aber an uns alle und vor allem an die durch uns vertretenen Organisationen appellieren. Widmen wir uns dieser so wichtigen Debatte um den Umgang mit Menschen aus anderen Kulturkreisen. Dass Menschen mit Migrationshintergrund unter sich bleiben, liegt nicht daran, dass sie keine Lust haben, sondern dass sie durch die gesamte Gesellschaft, also auch durch uns alle, ausgegrenzt werden. Sicher stimmt dass nicht für jede/n Einzelne/n aber dass was ich erreicht habe, zeigt mir, dass alle Vorurteile und Klischees die ich hatte, durchaus zutreffend waren, aber der Grund dafür sind wir alle selbst.
Sandro Witt
Teilnehmer am Seminar „Der Mythos Rütli“